Vor der Gesetzesänderung (sog. “Unionsbürgerausschlussgesetz”) hatte das Bundessozialgericht entschieden, dass Personen, die in Deutschland bereits berufstätig waren und Kinder in Ausbildung haben, sich auf das besondere Aufenthaltsrecht der Kinder berufen können, auch dann, wenn sie ihre Arbeit unterdessen verloren haben und damit nicht von den Leistungen der Jobcenter ausgeschlossen sind.

Dieses besondere Aufenthaltsrecht der Kinder, die in Deutschland eine Ausbildungsstätte besuchen (damit sind unter anderem auch allgemeinbildende Schulen gemeint) ergibt sich aus Art. 10 der VO 492/2011. Der europäische Gerichtshof hatte abgeleitet aus dieser EU-Verordnung, auch den Eltern der Kinder ein Aufenthaltsrecht zuerkannt, da ansonsten die Kinder über das fehlende Aufenthaltsrecht der Eltern zur Ausreise gezwungen wären, was wiederum das eigene Aufenthaltsrecht der Kinder beeinträchtigt hätte.

Da der deutsche Gesetzgeber aber auch diesen EU-Ausländern und ihren Kindern keine Leistungen bewilligen wollten, nahm er mit der Gesetzesänderung auch diese Personen von den Leistungen aus. Ob das aber nicht gegen Europarecht verstößt, ist derzeit hoch umstritten. Denn das Recht der Kinder, ihre Ausbildung in Deutschland abzuschließen, würde ihnen mittelbar durch den Entzug von Leistungen wieder genommen.

In einem jetzt vor dem Sozialgericht entschiedenen Eilverfahren, hat das Gericht der Antragstellerin vorläufig Leistungen des Jobcenters zugesprochen, wobei die Regelleistung auf 70 Prozent beschränkt wurde. Die Kinder der Antragstellerin lebten bei dem berufstätigen Vater und besuchten beide die Regelschule. Die Antragstellerin sah die Kinder zweimal in der Woche ganztägig und teilweise auch über Nacht. Da die Antragstellerin seit längerem arbeitslos war, lehnte das Jobcenter ihren Antrag auf Leistungen ab.

Das Sozialgericht sah dies nach vorläufiger Auffassung im Eilverfahren anders. Die Antragstellerin könne ihr Aufenthaltsrecht von ihren in Ausbildung befindlichen Kindern ableiten. Würde den die Sorge für das Kind wahrnehmenden Eltern(-teilen) die Möglichkeit versagt, während der Schulausbildung ihres Kindes im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, könne das Kind das ihm vom Unionsgesetzgeber zuerkannte Recht verlieren. Würden dem die tatsächliche Sorge ausübenden Elternteil Sozialleistungen zur Existenzsicherung im Falle der Bedürftigkeit nicht gewährt, liefe das durch Art. 10 VO (EG) Nr. 492/1011 gewährte Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere. Die praktische Wirksamkeit des EU-Rechts wäre erheblich beeinträchtigt, denn die Außerkraftsetzung des aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit abzuleitenden Aufenthaltsrechts gemäß Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 könnte Unionsbürger davon abhalten, von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen.

Nach alledem sprechen nach Ansicht der Kammer erhebliche Gründe dafür, dass die im vorliegenden Fall greifende Ausschlussregelung mit europarechtlichen Vorschriften nicht zu vereinbaren ist. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig (Stand 01.06.2017) und kann vom Jobcenter mit der Beschwerde angefochten werden.

Den Volltext der Entscheidung finden sie hier: S 15 AS 1874-17 ER